Der Pfandbon oder ein Drama in vier Akten.

Der Pfandbon oder wie ich in Sekunden ein Verbrecher wurde.

Das ist nun die mittlerweile dritte Geschichte, die sich in diesem Supermarkt abspielt. Man könnte den Eindruck bekommen, mein Leben würde nur aus einkaufen bestehen. Aber wie dem auch sei, immerhin kann ich euch erzählen wie aus mir unbescholtenem Bürger in nur wenigen Sekunden ein Verbrecher wurde.

Ein Drama in vier Akten.

I. Eine falsche Annahme

Im Dezember, an einem unbestimmten Tag, mache ich mich auf den Weg, um in meinem Lieblingsladen (weil der Einzige in meiner Nähe!) einzukaufen. In dem von mir getragenen Leinenbeutel stecken – dicht an dicht gepresst – fünf Pfandflaschen.

Die Behälter für diese, stehen im Laden direkt beim Eingang. Man kann sie quasi nicht verfehlen. Ich will gerade die erste Flasche auf ihre endlose Recyclingreise verabschieden, da fällt mir ein Detail auf, was mich stutzig werden lässt. Ein Pfandbon ragt noch aus dem Schlitz des Gerätes. Irgendjemand musste vergessen haben, ihn mitzunehmen.

Ratlos blicke ich umher und ziehe ihn raus. Das Pfand beträgt einen Euro.

Ohne groß darüber nachzudenken, sehe ich diese Begebenheit als ein Zeichen des Herrn an und freue mich über dieses Geschenk. Ein Euro extra. Wunderbar. Heute Abend gibt es Kaviar!

Meinen eigenen Bon stecke ich weg, während ich mit meinem Einkaufswagen durch die Gänge streife. Den anderen halte ich noch immer etwas unschlüssig in der Hand. Sollte ich auf die Person treffen, die nach ihrem Bon sucht, würde ich ihn sofort aushändigen. Das ist absolut klar.

Aber nach einer Weile stecke ich auch diesen Bon weg. Weil ich keine Person treffe, die ganz aufgeregt und mit Tränen in den Augen nach ihrem Bon sucht. Und weil ich vielleicht auch nicht nach ihr wirklich suche, sondern diesen Euro für mich behalten möchte. Ich erledige meine Einkäufe und reihe mich in die recht kurze Warteschlange ein. Als ich beim Verkäufer stehe, bemerke ich, wie aus dem Augenwinkeln ein Mann sich über die Brüstung beugt.

Wie oben schon geschrieben, stehen die Pfandflascheneinsammelgeräte (wie sollen sie sonst heißen?) direkt beim Eingang gegenüber der Obst- und Gemüseabteilung. Die Kasse wiederum liegt gegenüber dieser Abteilung, ist aber durch eine Absperrung abgetrennt, die man auch nicht so ohne weiteres überwinden kann.

Zwischen mir und dem immer lauter werdenden Mann existiert eine Barriere, über die ich ganz froh bin.

II. Erkenntnis

Die Frage, die sich stellt, sollte jetzt unbedingt lauten: Warum brauche ich vor diesem Mann eine Absperrung? Ganz einfach. Ich stehe beim Verkäufer, der meine Waren über den Scanner zieht und der Mann bemüht sich, laut und deutlich zu sprechen, so dass der Verkäufer ihn versteht. Meine Ohren, die sich zwar redlich bemühen nicht zu lauschen, bekommen nur halbe Sätze mit und plötzlich bekomme ich ein schlechtes Gewissen.

War das der Mann, der seinen Pfandbon sucht?

War er tatsächlich zurückgekehrt und hat festgestellt, dass der Bon von einer fremden und offensichtlich bösartigen Person einfach eingesteckt wurde?

Zwischen Kasse und Obstabteilung sind es einige Meter, so dass ich nur gewisse Sprachfetzen mitbekomme. Irgendwas mit meine Einkaufssachen und war schon mal hier, nehme ich wahr.

Ich stehe noch immer an der Kasse und bin gerade dabei, das Geld rauszusuchen, da wird mir heiß und kalt. Der Pfandbon wurde längst eingelöst. Die Sache ist gegessen. Und was ist, wenn jetzt der wahre Besitzer des Bons nach ihm sucht?

Mit zittrigen Händen hole ich einen fünf Euro Schein hervor und nehme das Restgeld – ohne nachzuzählen – an mich. Ich will nur noch raus aus diesem Laden!

In Windeseile habe ich meine Sachen eingepackt und rausche durch den Ausgang. Als ich über die Kreuzung gehe, meine ich wirklich, Sirenen zu hören. Ob der Kopf mir einen Streich gespielt hat, kann ich nicht sagen. Aber all das bewirkt, dass meine Schritte nun noch etwas zügiger und raumgreifender werden. Dem Supermarkt kann ich zwar entkommen, meinem Gewissen aber nicht.

Während ich mit großen panischen Schritten mich meiner Wohnung näher, macht sich in mir eine bittere Erkenntnis breit. Die Freude von dem unerwarteten ein Euro Geschenk ist längst verflogen. Doch noch bin ich nicht bereit den Tatsachen ins Augen zu blicken. Als ich endlich zu Hause angekommen, die Tür ins sichere Schloss fallen lasse, fühle ich mich nicht mehr verfolgt von den Hütern des Gesetzes.

Aber das miese Gefühl bleibt.

Der Pfandbon oder wie ich in Sekunden ein Verbrecher wurde.

III. Verdrängung

Ich brauche nicht lange, um mich vor dem PC sitzend wiederzufinden. Alle möglichen Gerichtsurteile gehe ich durch, lese Stellungnahmen von Anwälten, bombardiere Google mit meinen Anfragen und suche verzweifelt nach Meinungen, die meine Tat als legale Handlung bezeichnen. Ich will einen Ausweg aus meiner Misere und bestätigt haben (am liebsten per Gerichtsurteil), dass meine Tat rechtens war.

Alles, was ich finde, ist niederschmetternd.

Das Angestellte deswegen gefeuert wurden, hatte ich noch dunkel im Gedächtnis abgespeichert. Aber deswegen musste doch meine Tat nicht nicht rechtens sein, oder?

Ich merke, wie mir langsam die Argumente ausgehen und dann beginne ich, in meinem Kopf einen Disput mit mir selbst zu führen. Ziemlich laut sogar.

Das, was du getan hast, war falsch!
Aber es war doch nur ein Pfandbon im Wert von 1 Euro.
Ja und? Ab wieviel Euro hättest du denn den Bon dem Geschäft überreicht? Ab wieviel ist für dich wieder das falsche falsch und das richtige richtig?

Darauf weiß ich selbst keine Antwort mehr.

Mittlerweile geht es mir seelisch richtig mies. Ich wusste, dass viele Menschen das als Bagatelle verbuchen würden, aber ich hatte mich selbst zu Tode diskutiert. Meine innere Stimme, die die ganze Zeit versucht hatte, das noch irgendwie diese Sache als etwas legales hinzubiegen, verstummt. Und der Gedanke, dass Gott mir durch den Pfandbon eine Freude machen wollte, ist schon lange an einer grausamen Krankheit gestorben.

Die Angst bekommt nun ihren großen Bühnenauftritt und malt mir Schreckenszenarien vor meine Augen, in denen ich am nächsten Tag – wenn ich wieder einkaufen gehe will – in das Büro geführt werde, welches selbstverständlich nur von einer schummrigen Birne beleuchtet wird. Es wird die Polizei gerufen und wir sehen dann uns alle gemeinsam die Szene an, in denen ich ganz deutlich – von der Kamera gefilmt – den Bon an mich nehme und weitergehe.

Die Schuld ist eindeutig. Falsch ist und bleibt falsch.

Es gibt rein gar nichts zu beschönigen.

Ich weiß jetzt, was ich zu tun habe.

IV. Buße

Ich bete, ziemlich lange für meine Verhältnisse. Ich spreche zu Gott und schütte ihm alles aus, was mich belastet. Und falls morgen mich die Polizei im Büro mit den Tatsachen konfrontiert, werde ich alles zugeben. Sogar bei dem Mann, dem ich den einen Euro vorenthalten habe, werde ich mich entschuldigen. Mir ist es Ernst. So mies geht es mir schon lange nicht mehr.

Nach dem Gebet merke ich, dass das der richtige Schritt war. Ich weiß, dass der Herr mir meine Schuld vergeben hat. Er sprach zu meinem Gewissen und zeigte mir, dass es Unrecht war, was ich getan habe.

Am nächsten Tag wache ich mit einer weiteren Erkenntnis auf. Ich weiß, wovon der Mann sprach. Und nein, es ging nicht um einen Pfandbon. Er hatte bereits vorhin eingekauft und dem Kassierer nur mitteilen wollen, dass er einige Sachen im Rucksack hat. Dafür wollte er aber nicht durch den halben Laden latschen, sondern versuchte durch Zurufen, dem Verkäufer eben jenes mitzuteilen.

Als ich beim erneuten Einkaufen den Laden betrete, bin ich gelöst und in keinster Weise verängstigt. Ich habe die innere Sicherheit, dass keine Polizei auf mich wartet, um mich dingfest zu machen. In Ruhe kann ich jetzt wieder durch die Gänge tingeln und meine Waren in den Einkaufswagen legen. Von fremden Pfandbons werde ich mich aber ab jetzt fernhalten. Soviel ist sicher!

Kristina