Sehnsucht nach Meer.

Als Kielerin lebe ich nach am Meer. Man sollte annehmen, ich würde es oft sehen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Die Wahrheit war: Ich war seit einem Jahr nicht mehr an der Ostsee gewesen. Obwohl mich nur eine Busfahrt von 25 davon trennt. Und wenn man die Förde dazu nimmt, sind es nur zehn Minuten Fußweg.

Irgendwie hatte ich den Fokus verloren, dass ich auf einem schönen Fleckchen Erde wohne. Hatten mich die negativen Gedanken zu sehr beschäftigt? Als jemand, der ständig nachdenkt, konnte das gut sein. Jedenfalls verspürte ich an dem letzten Mittwoch eine Sehnsucht nach dem Meer und beschloss, mit dem Bus dahin zu fahren.

Üblicherweise ist der Bus ziemlich gefüllt mit Schülern und Touristen. Als ich in das fast leere Fahrzeug einstieg, wurde mir die Realität wieder einmal deutlich bewusst. Absperrbänder und ein angebrachter Zettel informierten mich, dass man nicht zum Busfahrer hin gehen darf. Da in Kiel man normalerweise vorne einsteigen muss und seine Fahrkarte vorzeigte (was manchmal bei vielen Fahrgästen zu einem Stau führt), war ich froh, dass mir das erspart blieb.

Ich setzte mich hin und blickte aus dem Fenster, während der Bus seine Fahrt aufnahm. Ab kommenden Mittwoch wird auch hier die Maskenpflicht eingeführt werden. Ich bin noch unschlüssig, ob ich dann lange Fahrten unternehme, oder ob ich mir das dann spare.

Eine Kollegin meines Betreuers würde am kommenden Wochenende zu Hause für alle Klienten Masken nähen und diese dann in den Briefkasten werfen. Und ich war dankbar für dieses Engagement. Ich hatte mir auch selbst schon Masken schenken lassen von einer Firma, die für einkommenschwache Menschen „Soli-Masken“ anbietet. Außer die Transportkosten von 4,95 € musste ich nichts zahlen und habe mich sehr gefreut, als die Masken am Donnerstag ankamen.

Das Meer wirkt anziehend auf den Menschen

Als ich aus dem Bus ausstieg, konnte ich nicht mit dem lächeln aufhören. Eine tiefe Freude erfasste mich und lächelnd ging ich mit immer schneller werdenden Schritten direkt zum Strand. Irgendwann konnte ich dieses unfassbar starke Blau des Meeres sehen.

Ich möchte schreiben, dass ich die letzten Meter rannte und dann abhob – aber das geschah höchstens in meiner Fantasie.

Der Strand war fast leer. Zwei Kinder spielten am Wasser und ich „baute“ mein kleines Stativ nebst Smartphone auf. Die Gelegenheit war günstig, einige Videos zu drehen. Am Himmel war keine einzige Wolke zu entdecken und auch der Wind schenkte mir auflandige Wellen, die an den Strand „donnerten“. Für Ostseeverhältnisse relativ hoch (normalerweise ist das Meer sehr ruhig hier).

Sehnsucht nach Meer.

Und so saß ich da, filmte und filmte. Irgendwann stand ich auf, suchte eine neue Location und filmte weiter. Ich genoss es, am Strand zu sein und nahm mir vor, wieder häufiger dorthin zu fahren. Offenbar fand Gott das genau so, denn es sollte etwas geschehen, was mir direkt den nächsten Trip zur Ostsee sichern würde.

Aber zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nichts davon und ich freute mich, wie gut dieses kleine Stativ seinen Job machte. Auch wenn ich jetzt trotzdem daneben stand und es festhielt. Also wieder genau wie vorher – nur mit dem Unterschied, dass ich das Handy nicht mehr in der Hand halten musste. Doch ich konnte mich nicht irgendwo hinsetzen, während das Stativ auf einer Mauer stand. Eine heftige Böe und – alles fliegt ins Wasser. Nein, das konnte ich meinem Vater nicht antun, der mir das Handy erst vor einiger Zeit mir geschenkt hatte.

Die weite Ferne beruhigt

Vielleicht ist es die weite Ferne, die beruhigend auf einen wirkt. Die Sehnsucht nach einem fernen Land vielleicht? Wenn ich daran denke, dass die Seefahrer damals einfach losgefahren sind, ohne konkretes Ziel. Irgendwann waren sie nur vom Ozean umgeben. Das ist ein sehr eigentümliches Gefühl, welches ich als Kind, das in einer Seglerfamilie aufgewachsen ist, oft erlebt habe. Man blickt sich um, die Landmasse wird immer kleiner, bis sie irgendwann nicht mehr zu sehen ist.

Dann sehnt man sich irgendwann wieder danach, Land zu erblicken. Man sucht mit dem Fernglas emsig, ob nicht doch ein klitzekleines Fitzelchen Land zu sehen ist. Und wenn man es nach vielen Stunden wieder sieht – kommt ein freudiges „Land in Sicht“ aus der Kehle des Suchenden. Dieses Gefühl ist einzigartig.

Und die ganze Szene kann ich auf die Metaebene setzen. Ich habe diese Woche alle Aufgaben in der Gemeinde abgegeben, habe mich aus allen Whatsapp Gruppen verabschiedet und segel jetzt hinaus auf den Ozean. Das Land schwindet oder ist schon nicht mehr zu sehen. Jetzt liegt alles noch stärker in Gottes Hand, wohin es mich treibt. Anders als die Seefahrer damals habe ich als Mensch keine Navigationsfähigkeiten. Ich vertraue einzig und alleine auf Gott, dass er mich sicher zurück ans Land führt.

Ich bin gespannt, wann ich es wieder erblicken werde und setze freudig die Segel. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es dasselbe sein wird, welches ich verlassen habe.

Kristina